BECHOL LASHON Deutsch – Illiberale Demokratie
Die E-Mail ist freundlich. Sie kommt von einer Stadtverwaltung, die sich rechtzeitig in Bewegung setzt, um eine öffentliche Veranstaltung für den Tag des Gedenkens zu organisieren. Sie möchte eine Empfehlung darum: „uns an jemanden zu wenden, der als (unmittelbarer oder, da es lange her ist, mittelbarer) Zeuge der schrecklichen Geschehen erscheinen kann, die der Rassengesetzesverkündung und der Rassentrennung und Gefangenschaft der Juden von Nazifaschisten in Italien folgten“. Alles gut – sagt man sich – es geht nur um die Routine des Gedenkens. Wir werden ebenso viel freundlich antworten.
Aber so folgt die E-Mail: „Das Ereignis zielt auf Schüler zwischen 11 und 19 Jahren ab; also bräuchten wir einen Zeugen, der den Jugendlichen eine historische und gemeinsinnige Hinsicht bietet, ohne politische Orientierung (…), ohne Vergleiche oder Verweise auf die Gegenwart, so dass die Neutralitätsregeln der Schulwelt respektiert werden“. Hier sind wir, endlich. Die illiberale Demokratie Orbans tritt auch in Italien am Tag des Gedenkens auf. Die Zeugen sollen sicher sprechen – denn es wird von der institutionellen Lage auferlegt – aber in Wirklichkeit sollen sie still sein, nicht denken, und sich hinter der Erzählung eines in Vergangenheit erstarrten Leides zurückhalten. Die Schulwelt, wo die meisten Menschen ihr politisches Bewusstsein gebildet haben, indem sie mit Lehrern und Klassenkameraden diskutierten, wird jetzt auf eine unbestimmte neutrale Dimension projiziert, die uns an die indoktrinierten Kinder des Pink Floyd Videos „The Wall“ denken lässt. Und in dieser Lage fällt uns ein, das zu trällern: “we don’t need no education, we don’t need no thought control…”
Gadi Luzzatto Voghera, Direktor der Stiftung CDEC. Übersetzung von Rachele Ferin, und Revision von Sara Facelli, beide Studentinnen der Hochschule für Dolmetscher und Übersetzer der Universität von Trieste und Praktikantinnen bei der Zeitungsredaktion der Union der jüdischen Gemeinden von Italien (UCEI).