BECHOL LASHON Deutsch – Urlaub auf Balkonien

von Elke Wittich

In Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen beginnen in diesen Tagen die Sommerferien. Doch Urlaub in Corona-Zeiten? Soll man fahren oder zu Hause bleiben? Die Ferienfrage beschäftigt die Nation, zumal Reisen nicht in jedes Land möglich sind und niemand voraussagen kann, wie sich die Corona-Infektionszahlen in den nächsten Wochen entwickeln werden.

Was also tun?

Nick Chanan Zemmel hatte eigentlich schon feste Reisepläne. »Mit einem Freund aus den USA war ich diesen Sommer in Israel verabredet.« Daraus wird nun nichts. Ob Plan B, eine Reise nach Barcelona zum Jahreswechsel, stattfinden kann, ist ungewiss. »Wer weiß, ob Amerikaner bis dahin überhaupt nach Europa reisen dürfen.«

Nun wird es ein Kurzurlaub im Brandenburger Westhavelland, genauer: im dortigen Sternenpark. »Der Sternenpark liegt in einem Lichtschutzgebiet. Das bedeutet, man kann dort sehr gut den nächtlichen Himmel beobachten«, erklärt der Student der jüdischen Theologie. Darauf freut er sich. »Ich habe hobbymäßig schon eine App auf meinem Handy, mit der man nachsehen kann, was alles am Himmel zu beobachten ist.«

Wann es genau losgeht, weiß er noch nicht. »Das wird eher spontan entschieden, aber Urlaub in der heimischen Region liegt ja durch Corona im Trend. Und die Gegend ist wirklich sehr schön, ideal für Radwanderungen, mit vielen Seen.«

Längerfristige Planungen seien momentan ja ohnehin schwierig. »Das Studium läuft im Moment über E-Learning. Das ist schon anstrengend, man sitzt eben viel vor dem Computer.«

Anfangs habe ihm der Lockdown nicht viel ausgemacht, »nun fällt es mir schwerer, aber ich bin trotzdem lieber weiter vorsichtig und vermeide es, Veranstaltungen zu besuchen. Ich möchte kein Risiko eingehen und am Ende noch unbemerkt infiziert sein und womöglich jemanden anstecken.«

Machane Auch Leah Floh wollte im Sommer eigentlich nach Israel fliegen, aber daraus wird nichts. Nun fährt die Vorsitzende der Mönchengladbacher Gemeinde gar nicht in den Urlaub, sondern plant schon das Ferienlager für Kinder und Jugendliche, das acht Gemeinden des Landesverbandes Nordrhein gemeinsam anbieten werden.

Schrebergarten »Viele Leute verreisen nicht«, weiß sie. Vor allem die Senioren bleiben zu Hause, »aber das war in den Jahren vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie auch nicht anders. Vielen ist es gesundheitlich oder finanziell einfach nicht möglich, in den Urlaub zu fahren.« Das werde oft vergessen, wenn es um das Thema Ferien geht: »Für alte Menschen sieht der Sommer ganz anders aus als für junge.« Manche hätten Glück und beispielsweise Bekannte mit Schrebergärten, »sodass sie dort mal ins Grüne können, für andere bleiben nur Spaziergänge in den Parks und Besuche in Eiscafés als Sommervergnügen«.

Für diejenigen, die noch auf der Suche nach einem Urlaubsziel sind, hat Leah Floh dennoch einen guten Tipp: »Holland, das ist nicht weit weg, und wenn man an der Nordsee oder in Friesland ist, ist es auch ganz egal, wenn das Wetter mal schlecht ist. Meer und frische Luft sind auch bei Regen schön.«

Elisa Lubarov, Jugendzentrumsleiterin aus Dortmund, hat keine Urlaubspläne, wegen Corona, wie sie sagt. »Aber ich fahre auf Machane in den Schwarzwald.« Eigentlich seien Wanderungen und Wälder nicht so ihre Leidenschaft, »aber dort ist es landschaftlich superschön, und ich freue mich schon darauf«.

Israel Das Meer vermisst sie trotzdem bereits, »das ist eigentlich das erste Jahr, in dem ich nicht irgendwo an einem Strand sein werde – gut, im vergangenen Jahr hatte ich auch keinen Urlaub, aber da war ich das ganze Jahr in Israel, das war ja strandtechnisch gesehen auch wie Sommerferien.« Zemmels, Flohs und Lubarovs Einstellung deckt sich mit der der Mehrheit der Deutschen.

Einer Umfrage von infratest dimap im Mai zufolge planen 50 Prozent der Deutschen in diesem Jahr keine Reise, sondern wollen zu Hause bleiben. 19 Prozent gaben an, den Urlaub im europäischen Ausland verbringen zu wollen. Das passt zu dem, was Elisa festgestellt hat: »Viele Eltern bleiben hier und geben ihre Kinder auf Machane, damit wenigstens sie in die Ferien fahren können. Ich weiß nur von einer einzigen Familie, die nach Spanien fliegen wird.«

Urlaub sei immer »mein Luxus« gewesen, stellt Julian Deterding aus Düsseldorf fest, aber nun wird er im Sommer nicht wegfahren – auch politikbedingt: Mitte September sind in Nordrhein-Westfalen Kommunalwahlen, und FDP-Mitglied Deterding kandidiert. Wahlkampf für sich selbst zu machen, sei etwas Neues, sagt er. »Im Rampenlicht zu stehen, bin ich nicht gewohnt.«

Herbst Er werde erst im Herbst verreisen – und dann für ungefähr 14 Tage. »Wir gucken einfach, wo es Ende September noch schön ist, mein Freund ist eigentlich nicht so sehr der Deutschlandurlaubs-Fan, aber es gibt sehr tolle Ecken, die ich noch von den Ferien mit der Familie kenne.«

Deterdings Tipp für alle, die noch auf der Suche nach einem nicht ganz so weit entfernten Urlaubsziel sind, lautet: »Bayern und Österreich, sehr schöne Wanderrouten, und man kann viel entdecken, wenn man sich nicht bloß auf Altbekanntes wie Zugspitze und Dachstein konzentriert, sondern sich ein bisschen informiert. Klare abgelegene Gletscherseen statt überlaufene Baggertümpel oder Strände, das hat auch seinen Reiz.«

Italien Noch sei überhaupt nichts geplant, aber »ich hätte Riesenlust auf Meer und südliches Ambiente«, sagt Nicole Faktor, Präsidentin von WIZO Deutschland. Und schwärmt: »Bei Instagram habe ich letztens Fotos der italienischen Region Cinque Terre entdeckt.«

In Zeiten von Corona gebe es aber vieles zu bedenken. »Fliegen ist mir im Moment sehr unsympathisch, wegen des Risikos, sich mit dem Virus anzustecken. Und auch in einem Hotel würde ich lieber keinen Urlaub machen, man weiß ja nie, ob man nicht am Ende dort wochenlang in Quarantäne leben muss, nur weil ein anderer Gast Corona hat.«

Eigentlich sei das alles aber »ein Luxusproblem, da muss man schon ehrlich sein. Zumal wir zum ersten Mal seit Jahren wieder ein richtiges Familienleben haben, denn unsere erwachsenen Kinder leben seit Beginn des Lockdowns wieder zu Hause, weil es praktischer ist«.

Sie findet das »herrlich, und nun haben wir in Frankfurt auch noch so schönes Wetter, das ist schon ein großes Glück«. Und die Sache mit dem Urlaub werde sich schon finden. »Irgendwann setzen wir uns diesen Sommer auf jeden Fall ins Auto und fahren alle zusammen los.«

*Jüdische Allgemeine, 28.06.2020.