„Rita Levi-Montalcini und ihr Meister”
„Rita Levi-Montalcini und ihr Meister”, der schöne Band von Marco Piccolino, Piera Levi-Montalcini, Maria Gattone, Michele Luzzati, Alberto Cavaglion, Giacomo Magrini, Isabel Murray und Pietro Calissano, wurde gestern auf der Internationalen Buchmesse in Turin unter der Leitung von Piero Bianucci (Edizioni ETS Verlag, 29€, in Originalsprache „Rita Levi-Montalcini e il suo Maestro”) vorgestellt. Es handelt sich nicht nur um eine faszinierende Ergänzung der bereits umfassenden Bibliografie von Texten, welche der Figur der großen Wissenschaftlerin gewidmet sind, aber auch um einen Text, der überzeugend eine echte Lücke im Wiederaufbau ihrer Rolle und der Welt um sie schließt. Eine Lücke, die mit mehreren Aspekten zusammenhängt.
Diese Seiten verleihen zunächst dem Character und treibende Kraft des Professors Giuseppe Levi, dem Lehrer von drei Nobelpreisträgern (Rita Levi-Montalcini, Renato Dulbecco, Salvador Luria), und einer ganzen Generation von Wissenschaftlern den richtigen Wert, wobei seine engagierte Haltung und die sichere Führung, aber auch die schroffen Charakterzüge und die manchmal diktatorische Methoden nachgezeichnet werden. Der Untertitel des Bandes lautet „Ein großes Abenteuer in den Neurowissenschaften gemäß der Giuseppe-Levi-Schule”. Und mit dem Meister, dessen Wert und Verdienste („Wissenschaft ohne Grenzen und bürgerliches Engagement”) von Marco Piccolino – einem Wissenschaftler und Wissenschaftshistoriker, auch Herausgeber des Werks – analysiert werden, erwacht seine Familie wieder zum Leben, der Kern, der im berühmten Roman “Familienlexikon” von seiner Tochter Natalia (Ginzburg) so anschaulich wiedergegeben wurde.
Aber es ist das ganze Umfeld des jüdischen Großbürgertums, von Alberto Cavaglion schlau behaftet im Rahmen der „casalinghitudine” (ein Begriff von Clara Sereni, der „Häuslichkeit” bedeutet) und von starken antifaschistischen Gefühlen geprägt, das in Szene gesetzt wird. Es ist jenes Milieu des bürgerlichen Engagements und politischer Dimension („Gobbetti, Gramsci, Leone und Natalia in Giuseppe Levis Turin), das uns Giacomo Magrini durch seine mutige Präsenz wiedergibt.
Zu dieser gut durchdachten Gruppe gehörte die Familie von Adamo Levi und Adele Montalcini, in der sich Architektur (Gino, unter anderem Planer des Palazzo Gualino in Turin), Kunst (Paola, Malerin, Ritas Zwillingsschwester) und Wissenschaft (Rita selbst, für ihren hartnäckigen und als Frau ungewöhnlichen Willen, nach der Schule ein Medizinstudium durchzusetzen) gleichzeitig entwickelten. Es war eine Familie, die bezeichnenderweise den Doppelnachnahmen annahm, um den festen Willen zu beweisen, das gemeinsame Erbe und die damit verbundenen Heimerinnerungen aufrechterhalten zu wollen.
Piera Levi-Montalcini, die Nichte von Rita, die von ihr als Hüterin der Familien- und Papiererinnerungen ernannt wurde, ist diejenige, die sorgfältig das Gesamtbild umrissen hat, das auch die eines nicht-observanten, aber auf der Ebene der Zugehörigkeit und des Familienzusammenhalts tief empfundenen Judentums ist.
Nur durch die Beschreibung einer Welt, die aus Hingabe und tiefgreifender italienischer Integration besteht, eine endlich reichhaltige und vielfältige Charakterisierung, können wir das Ausmaß der tiefen Trennung verstehen, die durch die Rassengesetze und ihre sinnlosen Ausgrenzungen entstanden sind. Es waren Maßnahmen, welche sowohl den Professor Levi als auch seine Schülerin aus den universitären Räumen und Forschungslabors abschnitten und sie dazu zwangen, zuerst nach Belgien zu emigrieren und dann, nach ihrer Rückkehr in Turin, im eigenen Schlafzimmer ein höchst unwahrscheinliches aber effektives „Privatlabor à la Robinson Crusoe” einzurichten, um ihre Forschungen auf dem Gebiet der Neurowissenschaften fortzusetzen (wie sie es selbst in ihrer schönen Autobiographie „Elogio dell’imperfezione”, auf Deutsch „Lob der Unvollkommenheit”, nennt).
Der Band ist vor allem der inbrünstigen Umgebung von Turin gewidmet, die um Giuseppe Levi gewachsen ist, und geht nicht auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs, der Nazi-Besetzung, und der anschließenden Jagd auf die italienischen Juden für Rita und ihre Familie ein. Es wird also nicht erzählt, wie die gesamte Gruppe nach der Zuflucht in der Umgebung von Asti nach Süden flieht und in Florenz landet, wo sie im August 1944 von den alliierten Truppen befreit wird.
Er analysiert vielmehr zweckmäßig, mit einem langen und ausführlichen Kapitel vom Biologen Piccolino, die entscheidenden Jahre ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und den Forschungsweg, der ihr vorausging und unmittelbar darauffolgte („Il ‘Cantico di una vita’ di una scienziata-scrittrice”, auf Deutsch „Das ‘Lebenslied’ einer Wissenschaftlerin”). Eine Phase, in welcher die Wissenschaftlerin – zuerst in Italien und dann jahrelang in St. Louis, Missouri – den Grundstein für die Studie legte, die sie zur grundlegenden Entdeckung des Nervenwachstumsfaktor (NGF) fuhr, was ihr den Nobelpreis einbrachte. Dies ist sicherlich ein entscheidender Abschnitt ihres Lebens, den sie selbst in den Mittelpunkt des autobiografischen Paradigmas des 20. Jahrhunderts gestellt hat: „Elogio all’imperfezione”. Dies wurde von Alberto Cavaglion anderen Meisterwerken der Selbsterzählung angeschlossen, die uns von Primo Levi, Cesare Segre, Vittorio Dan Segre hinterlassen wurden.
Wie der Herausgeber des Buches hervorhebt, ist es in Bezug auf die Figur von Rita Levi-Montalcini bezeichnend, dass die aktuellste dokumentarische Rekonstruktion ihres Lebens und ihrer Einstellungen das Portrait aus der Autobiographie nicht vollständig bestätigt. Es scheint so, als hätte die Großwissenschaftlerin das Selbstbild leicht „bearbeitet” wollen, um es ganz in Einklang mit ihren idealen Entscheidungen zu bringen.
Als Beispiel, ist das Bild von einer nur in die Wissenschaft verliebten Frau, frei von sentimentaler Anziehung und streng gekleidet, wahrscheinlich nicht der Wahrheit entsprechend. Dies geht aus einigen Briefen und Bildern von großer emotionaler Anziehungskraft hervor. Aus diesem kleinen persönlichen Widerspruch wird die Figur von Rita Levi-Montalcini, wenn möglich, noch lebendiger und schrillender, mit der Fähigkeit, sich mit einer konkreten Kraft, sowohl theoretisch als auch menschlich in der Landschaft der großen Erfindungen des 21. Jahrhunderts abzuheben.
David Sorani
Im Bild: Rita Levi-Montalcini erhält 1986 den Nobelpreis für Medizin
Übersetzt von Maria Cianciuolo, durchgesehen von Martina Bandini, Schülerinnen der Hochschule für moderne Sprachen für Dolmetscher und Übersetzer der Universität von Triest, Praktikantinnen in der Redaktion der Vereinigung der Italienischen Jüdischen Gemeinschaften.